Ein Herzeleid
Original-Übersetzung
Diese Geschichte besteht eigentlich aus zwei Teilen; der erste Teil könnte zwar wegfallen – aber er gibt uns einige Vorkenntnisse, und die sind nützlich!
Wir sind auf dem Lande, auf einem Herrenhause, wo es sich ereignet hatte, dass die Herrschaft auf einige Tage verreist war. Währenddessen kam aus dem nächsten Städtchen eine Madame an, sie führte einen Mops bei sich und kam, wie sie sagte, damit man Aktien auf ihre Gerberei nehmen möge. Sie hatte ihre Papiere mit, und wir rieten ihr, sie in einen Umschlag zu legen und darauf die Anschrift des Gutsbesitzers ‚Herrn Generalkriegskommissarius, Ritter usw.‘ zu schreiben.
Sie hörte uns aufmerksam zu, ergriff die Feder, hielt wieder inne und bat uns, wir möchten die Anschrift wiederholen, aber langsam. Wir taten es, und sie schrieb; allein inmitten des ‚Generalkriegs…‘ blieb sie stecken, seufzte tief auf und sagte: „Ich bin nur ein Frauenzimmer!“ – Ihr ‚Moppelchen‘ hatte sich, während sie schrieb, auf den Fußboden gesetzt und knurrte, war doch der Hund auch seines Vergnügens und seiner Gesundheit wegen mitgereist, und dann soll einem nicht der Fußboden angetragen werden. Stumpfnase und Speckbuckel waren seine äußere Erscheinung.
„Er beißt nicht!“ sagte die Dame, „er hat keine Zähne. Er ist gleichsam ein Mitglied der Familie, treu und knurrig, allein dazu haben ihn meine Enkel gereizt; sie spielen Hochzeit, und ihm wollen sie die Rolle der Brautjungfer geben, das strengt ihn zu sehr an, das alte Fell!“
Sie gab ihre Papiere ab und nahm das Moppelchen auf den Arm. – Dies ist der erste Teil – den man füglich hätte entbehren können!
Das Moppelchen starb! Das ist der zweite Teil.
Es war ungefähr eine Woche später; wir kamen in der Stadt an und kehrten im Gasthofe ein. Unsere Fenster führten auf den Hofraum, der durch eine Bretterwand in zwei Teile gesondert war; in der einen Hälfte hingen Felle und Häute, rohe und gegerbte. Hier befanden sich alle Materialien einer Gerberei, und die gehörte der Witwe. – Moppelchen war an diesem Morgen gestorben und in diesem Teile des Hofraumes begraben worden; die Enkel der Witwe, das heißt, die der Gerberwitwe, denn Moppelchen war nie verheiratet, deckten das Grab zu, und es war ein schönes Grab, es musste ein wahres Vergnügen sein, darin zu liegen.
Das Grab war mit Topfscherben eingezäunt und mit Sand bestreut; ganz oben hatten sie eine halbe Bierflasche hingepflanzt, den Hals nach oben gekehrt, und das war durchaus nicht allegorisch.
Die Kinder tanzten um das Grab herum, und der älteste der Knaben unter ihnen, ein praktischer Junge von sieben Jahren, machte den Vorschlag, dass eine Ausstellung der Moppelchen-Grabstätte stattfinden solle, und zwar für alle aus dem Gässchen; der Eintritt solle mit einem Hosenknopfe bezahlt werden. Einen solchen besäße jeder Knabe, und jeder könne gleichfalls einen für ein kleines Mädchen hergeben; dieser Vorschlag wurde einstimmig genehmigt.
Alle Kinder aus dem Gässchen, ja selbst aus dem Hintergässchen strömten herbei, und jedes gab einen Knopf. Viele gingen an diesem Nachmittage nur mit einem Hosenträger umher, aber dafür hatte man das Grab des Moppelchen gesehen, und der Anblick war viel mehr wert.
Doch draußen vor dem Gerberhofe, dicht neben dem Eingange, stand ein kleines, im Lumpen gekleidetes Mädchen, gar schön von Gestalt, mit gelocktem Haar und mit Augen, blau und klar, dass es eine Lust war. Es sprach kein Wort, es weinte auch nicht, aber jedes Mal, wenn das Pförtchen sich öffnete, warf es einen langen, langen Blick in den Hof. Es hatte keinen Knopf, das wusste es wohl, und deshalb blieb es traurig draußen stehen, bis alle die anderen das Grab gesehen und sich wieder entfernt hatten; alsdann setzte es sich nieder, hielt die kleinen braunen Hände vor die Augen und brach in Tränen aus; das Mädchen allein hatte Moppelchens Grab nicht gesehen. Es war ein Herzeleid, so groß wie ein Erwachsener es nur empfinden kann.
Wir sahen dies von oben – und von oben gesehen, ja, dann können wir darüber lächeln – über dieses, wie über manches eigene und anderer Leute Herzeleid! – Das ist die Geschichte, und derjenige, der sie nicht versteht, mag sich eine Aktie in der Gerberei bei der Witwe kaufen.
Über diese Märchen
Dieses Märchen wurde 1852 veröffentlicht.
Original-Übersetzung
Diese Geschichte besteht eigentlich aus zwei Teilen; der erste Teil könnte zwar wegfallen – aber er gibt uns einige Vorkenntnisse, und die sind nützlich!
Wir sind auf dem Lande, auf einem Herrenhause, wo es sich ereignet hatte, dass die Herrschaft auf einige Tage verreist war. Währenddessen kam aus dem nächsten Städtchen eine Madame an, sie führte einen Mops bei sich und kam, wie sie sagte, damit man Aktien auf ihre Gerberei nehmen möge. Sie hatte ihre Papiere mit, und wir rieten ihr, sie in einen Umschlag zu legen und darauf die Anschrift des Gutsbesitzers ‚Herrn Generalkriegskommissarius, Ritter usw.‘ zu schreiben.
Sie hörte uns aufmerksam zu, ergriff die Feder, hielt wieder inne und bat uns, wir möchten die Anschrift wiederholen, aber langsam. Wir taten es, und sie schrieb; allein inmitten des ‚Generalkriegs…‘ blieb sie stecken, seufzte tief auf und sagte: „Ich bin nur ein Frauenzimmer!“ – Ihr ‚Moppelchen‘ hatte sich, während sie schrieb, auf den Fußboden gesetzt und knurrte, war doch der Hund auch seines Vergnügens und seiner Gesundheit wegen mitgereist, und dann soll einem nicht der Fußboden angetragen werden. Stumpfnase und Speckbuckel waren seine äußere Erscheinung.
„Er beißt nicht!“ sagte die Dame, „er hat keine Zähne. Er ist gleichsam ein Mitglied der Familie, treu und knurrig, allein dazu haben ihn meine Enkel gereizt; sie spielen Hochzeit, und ihm wollen sie die Rolle der Brautjungfer geben, das strengt ihn zu sehr an, das alte Fell!“
Sie gab ihre Papiere ab und nahm das Moppelchen auf den Arm. – Dies ist der erste Teil – den man füglich hätte entbehren können!
Das Moppelchen starb! Das ist der zweite Teil.
Es war ungefähr eine Woche später; wir kamen in der Stadt an und kehrten im Gasthofe ein. Unsere Fenster führten auf den Hofraum, der durch eine Bretterwand in zwei Teile gesondert war; in der einen Hälfte hingen Felle und Häute, rohe und gegerbte. Hier befanden sich alle Materialien einer Gerberei, und die gehörte der Witwe. – Moppelchen war an diesem Morgen gestorben und in diesem Teile des Hofraumes begraben worden; die Enkel der Witwe, das heißt, die der Gerberwitwe, denn Moppelchen war nie verheiratet, deckten das Grab zu, und es war ein schönes Grab, es musste ein wahres Vergnügen sein, darin zu liegen.
Das Grab war mit Topfscherben eingezäunt und mit Sand bestreut; ganz oben hatten sie eine halbe Bierflasche hingepflanzt, den Hals nach oben gekehrt, und das war durchaus nicht allegorisch.
Die Kinder tanzten um das Grab herum, und der älteste der Knaben unter ihnen, ein praktischer Junge von sieben Jahren, machte den Vorschlag, dass eine Ausstellung der Moppelchen-Grabstätte stattfinden solle, und zwar für alle aus dem Gässchen; der Eintritt solle mit einem Hosenknopfe bezahlt werden. Einen solchen besäße jeder Knabe, und jeder könne gleichfalls einen für ein kleines Mädchen hergeben; dieser Vorschlag wurde einstimmig genehmigt.
Alle Kinder aus dem Gässchen, ja selbst aus dem Hintergässchen strömten herbei, und jedes gab einen Knopf. Viele gingen an diesem Nachmittage nur mit einem Hosenträger umher, aber dafür hatte man das Grab des Moppelchen gesehen, und der Anblick war viel mehr wert.
Doch draußen vor dem Gerberhofe, dicht neben dem Eingange, stand ein kleines, im Lumpen gekleidetes Mädchen, gar schön von Gestalt, mit gelocktem Haar und mit Augen, blau und klar, dass es eine Lust war. Es sprach kein Wort, es weinte auch nicht, aber jedes Mal, wenn das Pförtchen sich öffnete, warf es einen langen, langen Blick in den Hof. Es hatte keinen Knopf, das wusste es wohl, und deshalb blieb es traurig draußen stehen, bis alle die anderen das Grab gesehen und sich wieder entfernt hatten; alsdann setzte es sich nieder, hielt die kleinen braunen Hände vor die Augen und brach in Tränen aus; das Mädchen allein hatte Moppelchens Grab nicht gesehen. Es war ein Herzeleid, so groß wie ein Erwachsener es nur empfinden kann.
Wir sahen dies von oben – und von oben gesehen, ja, dann können wir darüber lächeln – über dieses, wie über manches eigene und anderer Leute Herzeleid! – Das ist die Geschichte, und derjenige, der sie nicht versteht, mag sich eine Aktie in der Gerberei bei der Witwe kaufen.
Über diese Märchen
Dieses Märchen wurde 1852 veröffentlicht.